Leone liess von Beginn an keinen Zweifel darüber, dass Sie hier ist, um ganz nach vorne zu kommen. Sie zeigte kniend und liegend eine hervorragende Leistung, insgesamt schoss sie nur zweimal knapp unter der Zehn, sonst erzielte sie fast durchgehend hohe Zehnerwerte. Das Spitzenfeld lag wie erwartet extrem dicht zusammen, an der Spitze wechselten sich die Führenden ständig ab.
Nerven aus Stahl
Dann gings ans Stehendschiessen. Die Spannung in der Schiessarena in Châteauroux erreichte ihren Siedepunkt. Es wog hin und her, eine Schützin nach der anderen musste die Segel streichen. Am Schluss standen sich nur noch Leone und die US-Amerikanerin Sagen Maddalena gegenüber. Jetzt ging es um den Olympia-Titel.
Und hier bewies Chiara Leona eine ihrer ganz grossen Stärken: Nerven aus Stahl. Im letzten Schuss zeigt sie ihre ganze Klasse und schiesst eine 10.8. Die Schweizer Fans in der Arena jubeln, Leone liess ihren Emotion freien Lauf, wendet sich den Zuschauern zu und ballt die Siegerfaust: Sie hat es geschafft. Die 26-Jährige ist Olympiasiegerin und erzielt mit 464.4 einen neuen Olympiarekord.
Wie schon vor drei Jahren in Tokyo (damals 2x Christen) sind es auch in Paris erneut die Schützen, die der Schweiz eine Gold- und einen Bronzemedaille (Audrey Gogniat, G10m) bescheren.
Stimmen
Chiara Leone zeigte sich nach dem Wettkampf überwältigt: «Ich fühle mich unglaublich. Es war ein anstrengender Wettkampf, aber es ist fantastisch. Einfach war es nicht. Beim Probeschiessen stehend lief es nicht so gut, aber im Final kam ich hier dann immer besser ins Rennen. Am Schluss war ich aber doch ziemlich nervös. Wenn mir vor drei Jahren jemand gesagt hätte, dass ich in die Fussstapfen von Nina Christen treten würde, hätte ich es nicht geglaubt. Was in den letzten Jahren passiert ist und dass es heute so aufgegangen ist, das ist ein Riesen-Traum, der in Erfüllung gegangen ist. Ich kann gar nicht beschreiben, was alles in mir vorgeht.»
Head Coach Daniel Burger zeigte sich tief bewegt und sprach unter Tränen: «Es ist überwältigend, unglaublich, dass ich das erleben darf. Mein letzter Wettkampf als Teamchef, und dann noch einmal auf den Punkt eine Olympiasiegerin. Das ist einfach unglaublich.»
Team-Kollege Christoph Dürr: «Ich werde morgen am Olympia-Empfang keine Stimme mehr haben. Solch einen Moment miterleben zu dürfen, ist ein riesiges Privileg. Das kann man gar nicht in Worte fassen. Wir Schützen haben die erste Bronzemedaille für die Schweiz an diesen Olympischen Spielen geholt und nun die erste Goldmedaille – genau wie in Tokyo, aber dieses Mal mit andern Athletinnen. Das ist alles andere als eine Selbstverständlichkeit – und es steckt unendlich viel Arbeit dahinter. Wie gesagt: Hier dabei sein zu dürfen, ist ein Privileg, es ist überwältigend.»
Sportpsychologe Jörg Wetzel: «Ich denke im Moment an ganz viele Leute, die nicht dabei sind, zum Beispiel an Jan Lochbihler. Es geht mir überhaupt ganz viel durch den Kopf. Was Daniel Burger punkto Professionalisierung in Magglingen und Biel auf die Beine gestellt hat, das ist beeindruckend. Ich habe mit Chiara viele Wettkämpfe erlebt, dass sie heute Gold gewonnen hat, ist natürlich gerade ein wunderbarer Moment. Aber solche eine Medaille verdienen in erster Linie natürlich gang klar der Athletin, dann kommen die Trainer. Und dann geht’s lange, bis der Sportpsychologe kommt. Aber in diesem Moment ist es grad eine grosse Genugtuung.»
Vater Nicola Leone: «Ich kann es kaum glauben und auch nicht beschreiben, was in mir vorgeht. Fingernägel habe ich auf jeden Fall keine mehr.»