Die European Games in Minsk waren der unbestrittene Saisonhöhepunkt. Über 4000 Athletinnen und Athleten aus rund 50 Ländern massen sich in der Hauptstadt Weissrusslands. Die Schweizer Delegation umfasste insgesamt 78 Athletinnen und Athleten aus 14 Sportarten. Darunter befanden sich auch sechs Schützinnen und Schützen – und die sorgten für Aufsehen, weit über den Tellerrand der Schützenfamilie hinaus. Völlig unerwartet war es der Schiesssport – notabene im Vergleich zu Leichtathletik oder Velo eine Randsportart – die in den Fokus der Öffentlichkeit rückte. Ein Umstand, der nicht genug hoch einzuschätzen ist. Aber alles schön der Reihe nach.
Nachdem der Auftakt der zweiten European Games mit den Mixed-Wettkämpfen Gewehr und Pistole 10m noch für Ernüchterung sorgte – vor allem die beiden Gewehr-Duos enttäuschten mit hintersten Rangierungen ihn der Tabelle – sorgte Nina Christen am dritten Wettkampftag (24.6.) für erste positive Gefühlsausbrüche bei den Schweizer Schützen-Fans. Die Nidwaldnerin demonstrierte wieder einmal auf eindrückliche Art und Weise, dass sie ein echter Wettkampftyp ist. Im Final praktisch jederzeit auf Rang zwei liegend war Christen stets auf Medaillenkurs und bescherte der Schweiz schliesslich mit Silber die erste Medaille an den European Games.
Dann ging es Schlag auf Schlag, am vierten Wettkampftag folgte bereits der Gewinn der nächsten Medaille. An internationalen Titelwettkämpfen und an Weltcups wird Gewehr 50m liegend nicht mehr geschossen, an den European Games in Minsk lebte die Disziplin in einem Mixed-Wettkampf wieder auf. Und die beiden Schweizer Duos haben bewiesen, dass sie sich in dieser Disziplin wohlfühlen: Nina Christen und Jan Lochbihler gewannen Gold, Petra Lustenberger und Christoph Dürr klassierten sich auf dem sehr guten sechsten Rang.
Verstärkte mediale Öffentlichkeit für den Schiesssport
Im Vorfeld zu den European Games äusserte sich Heidi Diethelm Gerber wie folgt: «In erster Linie will ich unter die besten Acht kommen. Und dann hat man logisch die Ambition, die Podestplätze zu erreichen. Der Quotenplatz für die Schweiz an den Olympischen Spielen in Tokyo ist dabei nicht mein primäres Ziel. Ich denke, das muss man wirklich ausblenden. Ich will in Minsk einfach meine Bestleistung bringen (...).» Was die 50-jährige Titelverteidigerin dann am fünften Wettkampftag in ihrer Paradedisziplin Pistole 25m aber effektiv zeigte, nötigte nicht nur eingefleischten Schiesssportfans Respekt ab. Ausgeglichen, konstant, stark: Mit diesen Worten lässt sich die Leistung von Heidi Diethelm Gerber im gesamten Wettkampf umfassen. Vor allem im Final spielte Diethelm Gerber ihre ganze Klasse und Routine aus. Insgesamt musste Diethelm Gerber in drei Shoot-Offs. Am Schluss ging es um Gold oder Silber, Diethelm Gerber und die Griechin Anna Korakaki wiesen beide je 35 Treffer aus. Bei diesem finalen Duell hatte dann die Griechin die Nase vorn. Heidi Diethelm Gerber gewann die Silbermedaille: Ein grossartiges Resultat, denn damit sicherte sich die Thurgauerin den Quotenplatz für die Olympischen Spiele in Tokyo 2020. Diethelm Gerber ist nach Nina Christen die zweite Schweizer Schützin, die sich über diesen Erfolg freuen darf.
Ein kleiner Wermutstropfen waren dann die Resultate am letzten Schiesskampftag mit Schweizer Beteiligung, als sowohl Petra Lustenberger und Nina Christen den Finaleinzug im Dreistellungsmatch Gewehr 50m verpassten. Vor allem Lustenberger lag bis und mit den ersten beiden Passen in der Stehend-Stellung auf Kurs, in der dritten dann unterlief ihr der berühmte Fehler zuviel, der die Luzernerin unweigerlich aus dem Rennen warf. Schliesslich klassierte sich Lustenberger auf dem 19. Rang.
Somit war für die Schweizer Delegation das Abenteuer European Games in Minsk beendet. Kein Wunder, zog Daniel Burger, Leiter Bereich Spitzensport dennoch eine positive Bilanz: «Wir waren als Team sehr gut aufgestellt», betont er. «Mit drei Medaillen und einem Quotenplatz haben wir unsere eigenen Erwartungen mehr als übertroffen.»
Wie bereits erwähnt, fanden die Erfolge der Schweizer Schützinnen und Schützen ein durchaus beachtliches Echo in der medialen Öffentlichkeit – keine Selbstverständlichkeit, liegt der Fokus ansonsten auf anderen Sportarten wie dem Schiesssport. Ein Online-User auf dem Internet-Portal von SF DRS brachte es auf den Punkt: «Danke für diesen Beitrag. Warum bringt man keine längeren Beiträge von Schiesssporterfolgen von Schweizer Sportschützen? Diese Sportart bescherte uns bereits drei Medaillen an den European Games? Bitte für solch herausragende Leistungen mehr mediale Aufmerksamkeit.»
Nun, die kleine aber feine Schweizer Delegation setzte in Minsk mit ihren Erfolgen ein wichtiges Zeichen, damit der Schiesssport hierzulande in Zukunft die Aufmerksamkeit bekommt, die er verdient. (cpe)