Wenn es drauf ankommt, zieht sie ihr Ding durch und unterstreicht, dass sie ein echter Wettkampftyp ist: Nina Christen zeigte im Final Gewehr 10m den ganzen Wettbewerb hindurch eine sehr starke und konstante Leistung: Praktisch immer lag die Wolfenschiesserin in Führung. Jetzt oder nie – sollte es endlich mit der lang ersehnten Einzelmedaille an einer Duckluft-EM für die Schweiz klappen? Es wäre die Erste für die Elite seit 2016, als Petra Lustenberger Bronze mit dem Luftgewehr geholt hatte.
Die spannungsgeladene Atmosphäre war förmlich greifbar, Christen lieferte sich ein heiss umkämpftes Duell mit der Rumänin Laura-Georgeta Coman. Nach der achten Serie lag die Schweizerin mit 228.7 Punkten und somit drei Zehntel Vorsprung vor ihrer Verfolgerin. Nach 24 Schuss hatten beide 249.1 Punkte auf dem Konto. Was dann folgte, war wahrlich eine Dramaturgie wie einem Hitchcock-Drehbuch – sofern dieser Schiesssport thematisiert hätte: Christen und Coman mussten in sage und schreibe drei Shoot-Offs. Im letzten schoss Christen eine 10.3, die Rumänin eine 10.4 – ein Zehntel machte so den Unterschied zwischen Gold oder Silber aus. Beide Athletinnen beendeten den Final von der Punktzahl her mit 249.1 ex aequo.
Bronze gewann die Österreicherin Franziska Peer mit einem Total von 228.3 Punkten.
«Der Gewinn von Silber ist kein Zufall»
Der Freude im Schweizer Team, welches Christen den ganzen Wettkampf über lautstark anfeuerte, tat die Tatsache, dass die Wolfenschiesserin so hauchdünn Gold verpasste, keinen Abbruch – im Gegenteil. Alle stürmten nach Ende des Wettkampfs auf die Shooting Range, um ihre Teamkollegin zu umarmen. Nina Christen realisierte das Ganze zuerst kaum: «Jetzt brauche ich effektiv einen Moment», meinte sie lächelnd. Etwas später versuchte sie das Geschehene einzuordnen: «Ich freue mich natürlich über diese Medaille. Letztendlich ist sie eine Bestätigung für meine Arbeit in den letzten Monaten und zeigt insgesamt, dass ich auf dem richtigen Weg bin», so Christen.
Wie hat sie die drei Shoot-Offs nervlich bewältigt? Sie habe immer gewusst, wo sie stehe und sich nicht aus der Ruhe bringen lassen. «Vielleicht hat mir ja auch der Sieg am Weltcup in Neu-Delhi das nötige Quäntchen Selbstbewusstsein und Ruhe gebracht», erklärt die Nidwaldnerin. Ende Februar 2019 siegte Christen in der indischen Hauptstadt sensationell im Dreistellungsmatch und sicherte der Schweiz zudem einen Quotenplatz für die Olympischen Spiele in Tokyo 2020.
«Der Gewinn von Silber ist kein Zufall», sagt Daniel Burger, Leiter Bereich Spitzensport beim SSV. Nina Christen sei eine Persönlichkeit, die «ganz nach vorne» kommen wolle. Sie zeige Charakter, wenn es darauf ankomme, so Burger. Besonders freue ihn, dass die Schweizer Delegation endlich wieder einmal mit Edelmetall im Gepäck nach Hause fahren könne. Das sei im Druckluftbereich alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Und wenn man bedenke, dass es ein Zehntel Differenz gewesen sei, der am Schluss die Differenz zwischen Gold und Silber ausmachte: «Das ist ein halber Millimeter, einfach Wahnsinn», resümiert Burger. (cpe)